Jeder, der mehr als drei Geschichten mit dem Meisterdetektiv gelesen hat, fragt sich unweigerlich, was wohl in dessen Kopf vorgeht, bevor er seinen Adlatus Watson – und alle anderen – verblüfft. Vor einigen Jahren gab es in der BBC-Serie „Sherlock“ in Form von Einblendungen einen Hinweis, wie Holmes‘ Gehirn funktionieren könnte. Cyril Lieron und Benoit Dahan gehen in ihrer Graphic Novel noch einen Schritt weiter: Das gewohnte, erzählerische Ich von Dr. Watson wird verlassen und – man kann es auch ohne in Holmes‘ Liga zu spielen wohl anhand des Titels erahnen – ein detaillierter Einblick in die Arbeitsweise des Detektivs gestattet.
Klappentext
Alles ist gut in London, und das bedeutet, dass für den größten Detektiv aller Zeiten nichts gut ist – Sherlock Holmes langweilt sich zu Tode. Da erlöst ihn ein Klopfen an der Tür von seiner Qual: Dr. Fowler, ein Kollege Watsons, steht dort in Begleitung eines Officers, der ihn in der Nacht zuvor aufgegriffen hat, als Fowler, gekleidet in ein Nachthemd und mit einem Damenslipper an den Füßen, vollkommen verwirrt im East End umherirrte. Fowler kann sich an nichts erinnern, und Scotland Yard ist ratlos. Einzig ein seltsames Ticket für eine Theateraufführung am Vorabend, das sich bei Fowler anfindet, bietet einen Ansatzpunkt für die Ermittlungen…
Rezension
Es gibt diese seltenen Werke, an denen einfach alles stimmt. „Das Rätsel der skandalösen Eintrittskarte“ ist ein kniffliger, mitreißender Rätsel-Krimi, der zunächst recht unspektakulär beginnt, jedoch in seinem Verlauf größere Dimensionen annimmt. Trotz des Umstandes, Holmes‘ Schlussfolgerungen bildlich vor sich zu haben, ist der Meisterdetektiv dann aber doch schon einen Schritt voraus. Zum Schluss gibt es auch noch eine Prise Gesellschaftskritik, die verstehen lassen, warum Holmes nach getaner Arbeit wieder eine Lösung anmischt.
„Im Kopf von Sherlock Holmes“ hätte mit dieser spannenden Geschichte sicher auch einen guten Roman oder einen erstklassigen Film ergeben, profitiert mit der gewählten Erzählperspektive aber ungemein von dem Medium Comic. Benoit Dahans detailreiche, teils seitenfüllende Zeichnungen – mit angenehmen Sepia als dominanten Grundton der Kolorierung – sind nicht nur eine Freude für die Augen aller Liebhaber der frankobelgischen Comickunst. Sie erlauben den Lesern auch, die Handlung nach eigenem Gusto zu „pausieren“, in der „Dachkammer“ des Meisterdetektivs zu spazieren und sich bei Bedarf gerne jeden einzelnen Schritt der Deduktion nochmals erklären zu lassen.
Zu guter Letzt sei noch lobend erwähnt, dass Umschlag, Papier, Druck, Bindung und Layout dieses Comicalbums auf allerhöchstem Niveau ist. Der Splitter Verlag hat hier einen Schatz geschaffen, bei dem der stolze Preis von 28,00 € absolut gerechtfertigt ist.
Fazit: „Im Kopf von Sherlock Holmes“ ragt aus Flut der Sherlock-Holmes-Pastiches markant heraus und kann allen Liebhabern der neunten Kunst und des klassischen Holmes nur wärmstens empfohlen werden.