Als mich meine geschätzte Blog-Partnerin Sarah auf das Buch aufmerksam machte, war ich zunächst wenig angetan. „Noch eine Jack-the-Ripper-Variante?“ Als ob Londons berühmter Serienmörder nicht schon oft genug von Inspektor Abberline (in Buchform oder in filmischer Adaption von Michael Caine, Johnny Depp oder Clive Russell), Sherlock Holmes (in Buchform oder in der Darstellung von John Neville oder Christopher Plummer) und zahlreichen anderen Detektiven gejagt worden wäre. Der Klappentext und der Umstand, dass es sich bei „Der letzte Rabe des Empire“ um einen Abenteuerroman für Jugendliche handelt, weckte dagegen dann doch meine Neugier.
Vorweg genommen, braucht man für Patrick Hertwecks Roman zunächst Durchhaltevermögen, denn der Autor erzählt nicht nur die Geschichte des Waisenjungen Melvin und die Ermittlungsarbeiten von Inspektor Abberline, sondern spannt parallel Erzählfäden mit über einem Dutzend Charaktere. („Game of Thrones“ und andere Streaming-Epen lassen grüßen). Während mir Melvin von Anfang an sehr sympathisch war und die Neugierde wuchs, welche Rolle er wohl in Bezug auf den Ripper spielt, blieb mir der Sinn und Zweck der anderen Handlungsfäden zunächst verschlossen. Ist das erste Drittel jedoch überstanden und das Bild klarer, begeistert der Roman nicht nur durch interessante Charaktere, sondern vor allem durch die eigenwillige Vermengung historischer Begebenheiten – was wohl Jean d’arc mit dem Ripper zu schaffen hat? – und Fantasy.
Ja, richtig gelesen: Fantasy. An dieser Stelle sei dem Verlag vorgeworfen, dass mit der Beschreibung „Historischer Abenteuerroman“ das Buch nicht gerade treffend beworben wird. „Historischer Fantasyroman“ trifft es schon eher, da auch die Krimi-Elemente sich im Wesentlichen auf das Vorhandensein von Inspektor Abberline beschränken, während der Roman ansonsten mehr den Fokus auf das Fantastische legt.
Hertwecks Sprache ist, auch einem jugendlichen Zielpublikum entsprechend, schlicht und elegant. Ein bemerkenswertes Stilmittel ist allerdings die Kapitellänge und das Erzähltempo. Während die einzelnen Kapitel zu Beginn recht lang sind und es eher gemächlich zugeht, steigert sich parallel zur Spannungskurve das Erzähltempo, wie im gleichen Maße die Kapitel kürzer werden. So kurz, dass während des „Showdowns“ stets nach wenigen Absätzen zwischen den einzelnen Erzählsträngen hin- und hergesprungen wird. Das literarische Äquivalent zu einem schnell geschnittenen Hollywood-Blockbuster.
Fazit: Patrick Hertweck hat mit „Der letzte Rabe des Empire“ ein spannendes, fantasievolles und im besten Sinne ungewöhnliches Jugendbuch geschaffen, dass allen Urban-Fantasy-Leser:innen ab 12 Jahren gefallen wird. (Na, Gott sei Dank, sind wir auf ‚Sherlocks Leseblog‘ keine fantasielosen Krimi-Puristen ;))